Ein Tag Ende Mai 2018

Seit Monaten sind wir auf der Suche nach einem bezahlbaren Wohnhaus in der Nähe Erfurts. Wir haben zahlreiche Angebote studiert, Häuser begutachtet, mit Maklern diskutiert, Alteigentümer kennengelernt. Von der Bank wissen wir, dass wir grundsätzlich kreditwürdig sind. Eigentlich kann es jetzt also losgehen. Eigentlich.

Nachdem wir gelesen haben, dass in Moldsorf ein Einfamilienhaus zwangsversteigert wird, machen wir uns beim zuständigen Amtsgericht schlau. Die Rechtspflegerin ist sehr nett und hilfsbereit. Laut Gutachten sind Treppe, Obergeschoss und Balkon baufällig und nicht mehr betretbar. Die Preisvorstellung fällt entsprechend niedrig aus. Trotzdem beschließen wir, dem Haus, einem modifizierten DDR-Eigenheim EW 65B, eine Chance zu geben. Bald darauf verständigen wir uns mit unseren künftigen Nachbarn. Auch die sind total nett und ermutigen uns, das leer stehende Gebäude etwas genauer anzusehen.

 

Uns trifft fast der Schlag

Als wir das Haus betreten – die Kellertür steht nach Aussagen der Nachbarn seit Jahren offen – bietet sich uns ein trauriger Anblick: Das Haus ist voll Gerümpel, es stinkt modrig, im Keller wartet die Wäsche seit einer Ewigkeit auf der Leine. In den Heizungsräumen hängen verschimmelte Spinnen von der Decke. Im Wohnzimmer steht das Wasser beinahe knöchelhoch, das einst wunderschöne Parkett ist zu Humus vergammelt. Und offensichtlich wurde das Haus zuletzt inoffiziell bewohnt und noch weiter hinuntergewirtschaftet. Leere Bierflaschen überall. Am Ende sollen es über 2.000 Stück werden.

       

     

 

Nicht ganz so schlimm

Doch das gerichtliche Gutachten hat dennoch übertrieben. Die Treppe, das Obergeschoss und der Balkon sind optisch und technisch intakt und in einem guten Zustand. Auch hier oben riecht es vermodert, das Dach ist an zahlreichen Stellen stark undicht und hat das Bett im Schlafzimmer in ein Wasserbett verwandelt. Aber Wände und Böden sind solide gebaut und trotzen dem Wasser – noch. Nach einigen kritischen Blicken wird uns jedoch klar: Das Dach muss wohl komplett ersetzt werden.

     

 

Eine folgenschwere Entscheidung

Wir sitzen lange und beratschlagen. Wir wägen unsere Eindrücke gegeneinander auf – das tonnenweise durchnässte Gerümpel gegen die soliden Stahlbeton- und Einschubdecken, das stehende Wasser und die aufgeweichten Möbel im Wohnzimmer gegen die schöne und intakte Treppe, den verwahrlosten Garten gegen das einst schönste Hausdesign im ganzen Ort: Das Objekt in der Graf-Gotter-Straße wirkt äußerlich wie ein Mix aus einem FDGB-Ferienheim und einem Schweizer Berghaus im Wald. Es lässt unsere Herzen bluten. Schließlich treffen wir den Entschluss, uns an der Zwangsversteigerung zu beteiligen.

 

Es wird spannend.

Die Fenster stehen weit offen, die Tür ist nicht verschlossen. Wir treten ein und suchen uns zwei Stühle in der letzten Reihe aus. Außer uns beiden sitzt niemand im Gerichtssaal. Wir haben die Folge- und Gesamtkosten gut durchkalkuliert und von mehreren Seiten fachmännischen Rat eingeholt. Die vorab zu zahlende Gebühr für die Teilnahme an dieser Auktion ist überwiesen. Jetzt kann es losgehen.

Minuten später treten weitere Personen in den Saal: Zwei Interessenten oder Schaulustige, zwei Anwälte und ein Beauftragter der Stadt – und eine Rechtspflegerin, ebenfalls sehr nett und zuvorkommend. Ein halbe Stunde Zitterpartie beginnt. Wir treten vor und geben unser Mindestgebot ab. So niedrig, dass wir auch die Folgekosten noch stämmen können und so hoch, dass alle Beteiligten zufrieden sind. Tatsächlich, niemand bietet mit, und nach einer guten halben Stunde sind wir noch immer die Höchstbietenden. Kein weiteres Gebot, keine Einwände. Wir erhalten den Zuschlag.

Noch immer können wir unser Glück kaum fassen, sind wie betäubt. Es ist wirklich wahr: Uns gehört nun unser eigenes Haus!